NEW WORK: DAS BÜRO ALS MENSCHENZENTRIERTE LERNWELT – DIE VERPASSTE CHANCE?


NEW WORK: DAS BÜRO ALS MENSCHENZENTRIERTE LERNWELT – DIE VERPASSTE CHANCE?

Birgit Gebhardt1)

Wer sich wundert, warum sich die Angestellten ins Homeoffice zurückziehen, hat das eigentliche Potenzial professioneller Arbeitswelten vielleicht noch gar nicht erkannt. Wir sollten uns mehr auf die User-Experience konzentrieren und das Büro endlich in eine menschenzentrierte Lernwelt verwandeln.

Man könnte denken, Organisationen seien auf dem richtigen Weg: Gerade erst wurde die Arbeitsorganisation transformiert: Zusammenarbeit sollte dynamisch und transdisziplinär in Projektteams erfolgen. Damit Prozesse agiler vonstattengehen konnten, wurden die Büros flexibilisiert: auf offenen Bürolandschaften sollte alles möglich sein, – vor allem Kommunikation und Wissensaustausch. Doch jetzt – da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt ihren Homeoffice-Wunsch äußern, stellt sich eine provokante Frage wie von selbst: Wurden die Arbeitskräfte bei diesen Planspielen vergessen?

Eher nicht in Bezug auf agile Methoden und Befähigung zur Selbstorganisation. Vernachlässigt wurde vielmehr die Frage, inwiefern die räumliche Gestaltung einen spürbaren Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer leisten kann. Denn eigentlich könnte sie das.

Wurde dem Arbeitsraum zu wenig zugetraut? Definitiv ja, und ich vermute aus mehreren Gründen:

1. Jeder nutzt Raum für seine eigenen Zwecke.

Die Mitarbeitenden tun es, die Personalentwicklung tut es und das Corporate Real Estate tut es auch.

Bei den Mitarbeitenden scheint sich eine neue Faustregel abzuzeichnen: Je selbstorganisierter, qualifizierter und freier in der Wahl des Arbeitsortes, umso seltener findet man diese Personen im Büro. Das Bild bestätigen insbesondere IT-ler, die schon vor der Pandemie viel mobil gearbeitet haben und als die Pioniere der agilen Transformation gelten. Nun sind es leider ausgerechnet diejenigen, die am schwersten zu gewinnen und zu halten sind, die sich physisch vom Büro entfernen.

Die Personalentwicklung kann sich also vorstellen, was deren Selbstbestimmung für die Führung, das Anlernen und die Zusammenarbeit im Büro bedeutet. Wie lange sind die persönlichen oder dem Team zugeordneten Arbeitsbereiche, – so genannte ‚Home-Zones’ – noch zentrale Anlaufstelle in den Büros, wenn die auch die eigene Home-Zone bei der Familie zuhause oder am Urlaubsort bei Freunden frequentiert werden kann?

Das Real Estate quält die neue Unplanbarkeit der Belegungsdichte. Nachhaltigkeitsauflagen scheinen leichter umsetzbar als die Abstimmung von Auslastung mit Bewirtschaftung.  Faustformel hier: In größeren Unternehmen wird etwa ein Drittel abgemietet und Desk-Sharing eingeführt oder die bereits existente Sharingquote angehoben. Smarte Buchungssysteme übertagen den Angestellten die Aufgabe, sich mit dem verfügbaren Platz zu arrangieren. Ein Argument, um ins Büro zu kommen, ist das nicht. Im Gegenteil: die Mitarbeitenden können sich ihres Arbeitsplatzes zuhause sicherer sein als im Büro.

Haben Real Estate und Personalentwicklung überhaupt gemeinsame Lösungsansätze, um den Bürobesuch wieder attraktiv zu machen? Oder geht es bei den Maßnahmen, die derzeit in vielen Unternehmen getroffen werden, eher um die gebaute Effizienz der Organisation? Dann hätte unter dem Stichwort ‚agile Transformation’ am Ende doch nur jeder für sich selbst gebaut: Das Corporate Real Estate für eine optimierte Flächenbewirtschaftung und das HR für eine verschlankte Personalwirtschaft.

2. Wir operieren vernetzt, aber haben nichts verstanden.

Was soll nun auf den agilen Flächen passieren, wenn die Arbeit, ihre Inhalte und Medienwerkzeuge buchstäblich zum Menschen wandern, und man sich auch zuhause, in der Innenstadt oder auf dem Land zum gemeinsamen Co-Working treffen kann? Oder wenn wir uns gar nicht mehr treffen müssen, um zusammenzuarbeiten? Wo heute Meetings vom Konferenztisch auf den Monitor und Workshops auf das Miroboard wandern, schlagen wir gemeinsam die Transformationsrolle rückwärts und finden uns alle wieder am Bildschirmarbeitsplatz. Wie erfolgreich war dann die Vermittlung der agilen Zusammenarbeit für die Nutzer? Und wie erfolgreich für das Büro?

Die hybride Zusammenarbeit führt es uns vor Augen: Medien erweitern unser Kommunikationsspektrum, doch uns fehlt die Didaktik, um sie auf unser natürliches Lernverhalten zu übersetzen. Glauben wir ernsthaft, es macht keinen Unterscheid, ob man sich real oder per Namenskürzel auf Kacheln sieht? Automatisch fixieren wir den Bildschirm, glauben, er tauge für jede Arbeit, obwohl diese fokussierte Haltung kreative Ideengenerierung erschwert. Wir differenzieren nicht in unserer Arbeitsabsicht, fügen uns (ergonomisch) den Geräteanforderungen und verfehlen damit die eigentliche Aufgabe: unsere zwischenmenschliche Interaktion auch menschengerecht zu gestalten.

Am Ende können wir nur die Arbeitsumgebungen bauen, die wir uns vorzustellen vermögen. Wenn wir so weitermachen, wird es nicht viel mehr sein, als ein Gamingsessel, aus dem wir in ein fades Metaverse starten.

Dabei hat die Digitalisierung uns nicht nur vor komplexe Herausforderungen gestellt, sondern die Lösungswerkzeuge gleich mitgebracht: Technologisch wie methodisch können wir vom Bildschirmarbeitsplatz aufstehen und uns einander zuwenden. Unter dem Stichwort ‚aktivitätsbasiertes Arbeiten’ gibt es neue Möbel und Medien, die uns in unserer Tätigkeitsausübung ergonomisch-funktional unterstützen wollen. Doch funktional reicht nicht, um Menschen in eine andere Arbeitsverfassung zu bringen. Wer Raum als Führungsinstrument nutzen will, sollte nicht nur die Infrastruktur, sondern den Menschen im Auge haben. Wir sind sinnliche Wesen, keine Maschinen.

3. In der sinnlichen Wahrnehmung liegt unser Vorteil.

Psychologie, Verhaltens- und Hirnforschung bestätigen, wie stark die weichen, physiologischen und emotionalen Faktoren unsere Denk- und Leistungsfähigkeit beeinflussen. Biologen haben bewiesen, dass unser Körper permanent mit der Außenwelt kommuniziert, die wiederum unseren Metabolismus wie Hormonhaushalt beeinflusst – und damit unsere (Arbeits-)Verfassung, Stimmung und Gefühlswelt. Wenn wir uns also permanent im Hier & Jetzt verorten, sollte uns das Anregung und Argument genug sein, die reale Umwelt stimulierender zu gestalten.

Wir kommunizieren unweigerlich mit Räumen, spüren ihre Wirkung auf uns, passen uns an oder beginnen in ihnen zu handeln. Der kognitive Neurologe Colin G. Ellard vertritt die These, dass Gebäude in uns Anpassungsbestrebungen auslösen, und verweist auf unsere Spiegelneuronen zur Empathiefähigkeit, wenn wir Freude oder Leid im Gesicht einer Person nachempfinden. Es kann also auch ein wertschätzender Raum zum Gefühl des Wertgeschätztseins beitragen. Und es muss uns nicht wundern, dass uns im typischen 3-Bund-Büro nicht das Herz aufgeht, wenn wir raumbildend so unter unseren Möglichkeiten bleiben.

Wenn also wir Menschen von Natur aus geneigt sind, mit unserer Umgebung zu assimilieren und in der Wahl dieser Räume mehr Freiheiten haben, werden Mitarbeitende den Raum aufsuchen, in dem sie sich den größten Support, funktional wie emotional, erhoffen. Bietet die Lernwelt (und die in ihr Agierenden) schon ein assoziatives Abbild der Lernverfassung oder Arbeitshaltung, die der Neuankömmling einnehmen will, fällt ihm der Switch in die Arbeits- oder Gesprächshaltung leichter. Vor allem in flexiblen Strukturen und bei einer freien Entscheidung, wie und wo man arbeiten möchte, werden Vorbilder, Rituale und Symbolik zu wichtigen Mustern, um sich selbst effizienter zu orientieren und zu organisieren.

4. Das Büro als Bühne zur Selbsterprobung

Der Fokus Raum bedient zwei Servicegedanken, die das Büro als Lernwelt zusammenfassen könnte: den Kommunikationsraum, der Zeiten und Realitäten überwindet. Und den physischen Begegnungsraum, in dem Menschen ihre Grenzen untereinander überwinden. Jede dieser Richtungen nimmt uns mit auf eine User-Experience. Die Chance für das Büro wäre nun beide Realitäten als Blended Learning wie auf einer Bühne erlebbar zu machen: So wie heute jede digitale Karte die Welt um den Standpunkt des Individuums aufbaut, so ähnlich müssen wir uns die künftige Erwartung an die Arbeitswelt vorstellen: ‚Die Möglichkeiten zu Füßen gelegt, und das Geländer zur Zielerreichung hier im Angebot!’

Wo die Transformation verlangt, dass wir uns permanent in neuen Rollen ausprobieren, findet sich mit der Probebühne der Resonanzraum, um sich gemeinsam an Neues heranzuwagen. Die Bühne schafft Flexibilität und Sichtbarkeit: Sie ermuntert zu „freien Stücken“, indem sie die Akteure ins Licht setzt.

Die Chance dieser Lernwelt liegt in der multisensorischen User-Experience, als besonderer Lernerfahrung und ihrem Narrativ, das Teil der Unternehmenskultur sein könnte. Das Büro ist hier im Vorteil: Je mehr Sinne adressiert werden, umso reicher der Eindruck. Je positiver sie angeregt werden, umso nachhaltiger die (Lern-)Erfahrung. Erst dann funktioniert Raum als Befähiger, Vermittler und Verwandler.

Birgit Gebhardt wird am 13. Oktober 2023 den Workshop: New Work – die vernetzte Arbeitskultur und deren Potenziale – Bilanz und Ausblick in Arbogast leiten.

Quelle

  1. Den ungekürzten Artikel „Die verpasste Chance der Lernwelt“ verfasste Birgit Gebhardt für das Personalmagazin plus: Arbeitswelten 10/22